Weniger Tierschutzstrafverfahren – grosse kantonale Unterschiede
Gemäss der aktuellen Jahresanalyse der Stiftung für das Tier im Recht (TIR) musste im Jahr 2017 zum ersten Mal seit 2004 ein signifikanter Einbruch der Anzahl Tierschutzstrafverfahren verzeichnet werden. Diese Entwicklung ist massgeblich – allerdings nicht nur – auf die Aufhebung der Ausbildungspflicht für Hundehaltende zurückzuführen.
Speziell untersucht wurden im diesjährigen Gutachten die tierschutzrechtlichen Bestimmungen zur Schweinehaltung sowie die diesbezügliche Strafpraxis.
Dabei zeigt sich, dass das Wohl und die Würde von Schweinen trotz ausführlicher Haltungsbestimmungen sowohl im Bereich der Gesetzgebung als auch im Rahmen der Rechtsanwendung kaum Beachtung finden. Die TIR fordert strengere Vorschriften über den Umgang mit Schweinen sowie griffige Vollzugsstrukturen in allen Kantonen.
Gesamtschweizerisch ist die Anzahl der Tierschutzstrafverfahren in den vergangenen Jahren stetig angestiegen. 2017 waren die Fallzahlen nun zum ersten Mal seit 13 Jahren wieder rückläufig. Mit 1691 Fällen ergingen dabei in etwa so viele Entscheide wie im Jahr 2014, was im Vergleich zum Jahr 2016 einer Abnahme von rund 30 % entspricht.
In absoluter Hinsicht stammen die meisten Verfahren aus dem Kanton Bern, dessen 319 Fälle im Berichtsjahr knapp einen Fünftel des gesamten Fallmaterials ausmachen und der mit 3.09 Verfahren pro 10’000 Einwohner auch im Verhältnis zur Bevölkerungszahl das gesamtschweizerische Durchschnittsniveau von 2.16 Verfahren pro 10’000 Einwohner klar übertrifft. Bezüglich der absoluten Fallzahlen an zweiter Stelle folgt mit 272 Fällen der Kanton Zürich, der allerdings mit 1.81 Verfahren pro 10’000 Einwohner unter dem entsprechenden schweizweiten Durchschnitt liegt.
Den dritten Platz nimmt sodann mit 179 Verfahren der Kanton Aargau ein, wobei dieser mit 2.67 Verfahren pro 10’000 Einwohnern auch in relativer Hinsicht einen überdurchschnittlichen Wert aufweist. Gemessen an der Bevölkerungszahl stammen die meisten Verfahren aus dem Kanton Obwalden (6.65 Verfahren pro 10’000 Einwohner), der auch mit wachsenden absoluten Zahlen ein positives Ergebnis ausweist. Aber auch der Kanton Uri liegt mit 4.31 Verfahren pro 10’000 Einwohner weit über dem Durchschnitt und kann einen erheblichen Anstieg der Fallzahlen (+ 87.5 %) vorweisen. Relativ zur Bevölkerungszahl betrachtet stammen die wenigsten Fälle aus den Kantonen Basel-Stadt (0.26 Fälle pro 10’000 Einwohner), Tessin (0.48), Jura (0.82), Genf (0.83) und Freiburg (0.89).
2017 befassten sich die Behörden in 56.3 % der erfassten Entscheide mit Delikten, die an Heimtieren begangen wurden. Etwas mehr als einen Viertel des Fallmaterials machen Verfahren aus, die an Nutztieren verübte Verstösse zum Gegenstand hatten. Mit 790 Fällen am häufigsten betroffen waren erneut Hunde.
Diese Zahl ist allerdings insofern zu relativieren, als es im Berichtsjahr bei 14.8 % der Verfahren um mangelhafte Beaufsichtigung ging und – trotz Aufhebung der Sachkundenachweispflicht am 1. Januar 2017 – in 15.8 % der Fälle das Nichterbringen des Sachkundenachweises sanktioniert wurde. Unabhängig vom Wegfall der Sachkundenachweisfälle hat die Zahl der „klassischen“ Tierschutzdelikte, also aller Delikte abzüglich der Verstösse gegen die Ausbildungs- und die Beaufsichtigungspflicht für Hundehaltende, eine gesamtschweizerische Abnahme erfahren. Auf welche Ursache diese Entwicklung zurückzuführen ist, bleibt zu klären.
Der Mittelwert der für Übertretungen gegen das Tierschutzrecht ausgesprochenen Bussen betrug 2017 wie schon in den Vorjahren 300 Franken. Besonders hervorzuheben sind die Bussen im Kanton Obwalden mit einem Mittelwert von 750 Franken sowie in den Kantonen Basel-Landschaft und Genf mit je 500 Franken. Schweizweit wurde im Berichtsjahr in 14 Fällen eine unbedingte Geldstrafe für einen „reinen“ Tierschutzverstoss – also einen solchen, bei dem nicht auch gleichzeitig ein Verstoss gegen ein anderes Gesetz zur Beurteilung stand – ausgesprochen; im Vorjahr waren es noch 24. Allerdings wurde 2017 im Gegensatz zum Vorjahr auch eine unbedingte Strafe für ein „reines“ Tierschutzdelikt verhängt. Bedingte Freiheitsstrafen für „reine“ Tierschutzverstösse wurden im Berichtsjahr keine angeordnet.
Vor dem Hintergrund des vom Tierschutzrecht festgelegten Strafrahmens, der für Tierquälereien eine Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren oder eine Geldstrafe und für Übertretungen eine Busse von bis zu 20’000 Franken vorsieht, und angesichts des mit den betreffenden Handlungen oftmals einhergehenden Tierleids sind die Strafen für Tierschutzdelikte gesamthaft betrachtet noch immer unverhältnismässig tief.
Im Rahmen der diesjährigen Analyse der Schweizer Strafpraxis wurden die rechtlichen Bestimmungen zum Schutz von Schweinen sowie die Strafpraxis in Bezug auf Schweine einer genaueren Betrachtung unterzogen. Dabei zeigt sich, dass die vergleichsweise detaillierten Vorschriften zur Haltung von Schweinen den Tieren bei Weitem kein artgerechtes Leben garantieren. So dürfen Schweine etwa ohne Zugang zu einem Aussenbereich, in extrem engen Platzverhältnissen und ohne Einstreu auf dem nackten Betonboden gehalten werden.
Die Auswertung des Strafmaterials hat sodann ergeben, dass Schweinen von ihren Haltern häufig eine regelrechte Gleichgültigkeit entgegengebracht wird. Die von Verstössen betroffenen Tiere litten oftmals über längere Zeit unter krass tierschutzwidrigen Haltungsbedingungen, kranke Schweine wurden vielfach unzureichend behandelt und einer Euthanasie wurde regelmässig der Transport in den Schlachthof und damit die potenzielle wirtschaftliche Verwertung vorgezogen, was das Leid kranker und verletzter Tiere unnötig verlängerte. Dass entsprechendes Verhalten seitens der Strafverfolgungsbehörden nicht toleriert und vergleichsweise streng bestraft wurde, ist hingegen positiv hervorzuheben.
Zusammenfassend besteht im Tierschutzstrafvollzug vielerorts noch erhebliches Verbesserungspotenzial. Es ist völlig inakzeptabel, dass verbindliche Gesetzesbestimmungen immer wieder ignoriert und Tierschutzverstösse nicht verfolgt oder mit viel zu milden Strafen geahndet werden. In einem Forderungskatalog hat die TIR darum die acht wichtigsten Postulate für eine wirksame Strafpraxis im Tierschutzrecht aufgelistet.
Quelle: Stiftung für das Tier im Recht
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