Neuer Bericht: Indiens Christen stehen vor „existenzieller Bedrohung“

Christen in ganz Indien leben in ständiger Angst, da systematische Angriffe wie gewalttätige Belästigungen, Vergewaltigungen und Morde gegen sie verübt werden. Zu diesem Ergebnis kommt ein schockierender neuer Bericht der London School of Economics (LSE), der von der christlichen Hilfsorganisation Open Doors in Auftrag gegeben wurde.

Der Report „Destructive Lies – Desinformation speech that incits violence and discrimination against religious minorities in India“ beschreibt die extreme Verfolgung von Christen und Muslimen durch gewalttätige Bürgerwehr-Mobs und Hindu-Nationalisten oder Hindutva*.

Dem Bericht zufolge werden die Attacken und die Verfolgung von staatlichen Akteuren – einschliesslich der Landes- und Regionalregierung, der Polizei und der Medien – ignoriert und sogar geduldet, um das Wohlwollen von Indiens mächtigen Hindutva-Organisationen zu behalten.

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Vorwurf: Christen und Muslime verbreiten Corona-Virus

Laut einem der Autoren des Berichts, die darum gebeten haben, nicht namentlich genannt zu werden, „ist das Ausmass, in dem … staatliche Akteure an der Gewalt mitschuldig sind, schockierend; es war sogar auf der untersten Ebene zu sehen. Die Behörden, die Polizei, die Richter der unteren Instanzen, sie alle … arbeiten offen zusammen, um diese Minderheiten zu schikanieren. Und Politiker, höchste religiöse Führer und mächtige Medienmanager [setzen] ganz offen Signale, dass dieses [Verhalten] erwünscht ist.“

Während der aktuellen Covid-19-Krise wurden zum Beispiel Christen und Muslime in konzertierten Aktionen mittels Fehlinformationen ins Visier genommen, einschliesslich der Behauptung, sie würden absichtlich versuchen, das Virus zu verbreiten und Hindus durch ihre religiösen Handlungen zu infizieren.

Weitere Ergebnisse des Berichts

Die Gewalt- und Einschüchterungskampagne wird durch neue Social-Media-Plattformen stark angeheizt. Die Angreifer entreissen den Opfern ihre Handys und zeichnen gleichzeitig selbst die Angriffe auf, um sie in den sozialen Medien zu posten und anderen Hindutva-Gruppen eine Botschaft zu senden und das Narrativ zu kontrollieren.

Wenn die Mainstream-Medien überhaupt über Mob-Angriffe berichten, geben sie regelmässig unwidersprochen die Darstellung der Täter wieder und weigern sich, mit den Opfern zu sprechen.

Die Polizei und die lokale Gerichtsbarkeit weigern sich, die begangenen Verbrechen anzuerkennen oder Anklage zu erheben.

Gewalt und Verfolgung wird auf staatlicher Ebene gefördert, indem Staaten Gesetze einführen, um Christen für „Zwangskonvertierung“ zu bestrafen (in der Praxis handelt es sich dabei nur um Christen, die ihre Religion ausüben).

Brandanschläge richten sich regelmässig gegen Gotteshäuser und religiöse Gegenstände.

Falsche Anschuldigungen gegen Christen werden von Mainstream- und neuen Medien verbreitet, inklusive der Behauptung, Christen hätten Hindus absichtlich mit Covid-19 infiziert.

Die Untersuchung wurde im Februar und März 2021 von einem in Indien ansässigen Forschungsteam der LSE durchgeführt. Die Daten wurden in Orten gesammelt, in denen es gemeldete Vorfälle von antichristlicher oder antimuslimischer Gewalt gegeben hatte.

Dauerhafte Vertreibungen

Der Bericht enthält eine Reihe beunruhigender Fallstudien, darunter die Erlebnisse von Sunita Verma**, die ein totgeborenes Baby zur Welt brachte, nachdem ein hindunationalistischer Mob ihr gewaltsam in den Bauch getreten hatte.

Ausserdem ist die Geschichte von Ravi, einem lokalen Arbeiter, festgehalten, der von einer radikal-hinduistischen Bande gefangen und geschlagen und von der Polizei zum Sterben in einer Zelle zurückgelassen wurde sowie die Details eines Massenangriffs auf ein muslimisches Dorf durch einen 6‘000 Mann starken Mob, der Brandstiftung beging und viele Menschen dauerhaft aus ihren Häusern vertrieb.

Open Doors fordert klare Untersuchung

Der Bericht enthält eine Reihe von dringenden Empfehlungen, darunter die Einrichtung einer internationalen Untersuchungskommission, die das Ausmass der Gewalt und der Menschenrechtsverletzungen gegen religiöse Minderheiten erfassen soll.

Philippe Fonjallaz, Direktor von Open Doors Schweiz: „Die internationale Gemeinschaft kann nicht länger ignorieren, was in Indien passiert. Sie kann ihre Augen vor diesen Gräueltaten nicht verschliessen. Wir fordern eine gründliche Untersuchung dieser brutalen und systematischen Verfolgung von religiösen Minderheiten.“

Bericht fordert zu besserer Moderation auf

Unterdessen werden die Betreiber der Social Media-Plattformen aufgefordert, eine Reihe von Sofortmassnahmen zu ergreifen, darunter:

Einsatz von einer grösseren Anzahl an Moderatoren, um lokale Probleme mit Diskriminierung, Belästigung und Gewalt anzusprechen.

Überarbeitung der Algorithmen, um Entmenschlichung und Aufwiegelung gegen religiöse Minderheiten in Südasien anzugehen.

Sofortiges Sperren von Accounts, die solches Material verbreiten.

„Was wirklich schockierend ist, ist, wie wenig ernst dies von [Social Media-]Plattformen und Unternehmen genommen wird, die … Menschenrechte unterstützen“, fügt der ungenannte Co-Autor von Destructive Lies hinzu. „Sie sollten damit genauso ernst umgehen, wie wenn Christen in Europa oder den USA auf diese Weise verfolgt werden würden. Ich denke, sie würden dann anders darauf reagieren.“

Auf dem Weltverfolgungsindex 2020 liegt Indien an 10. Stelle unter den Ländern, in denen Christen am stärksten wegen ihres Glaubens verfolgt werden.

* Hindutva bedeutet übersetzt „Hindutum“ und ist eine Form des Nationalismus. Sie definiert die indische Identität ausschliesslich über den Hinduismus und sieht alle nicht in Indien beheimateten Glaubensrichtungen und Philosophien (Christentum, Islam, Säkularismus) als „unindische“ Eindringlinge in die Nation.

** Namen aus Sicherheitsgründen geändert

 

Quelle: Open Doors Schweiz
Titelbild: valdiya_ravi – shutterstock.com