"Kuchen haben mir zum Überleben verholfen"

Schinznach-Dorf: Der weltreisende Bäcker Fernando Cassano

Fernando Cassano ist ein Lebenskünstler. Weil er wenig materielle Ansprüche hat und sich nach der Decke zu strecken weiss, konnte er beruflich schon so manches spannende Projekt in Angriff nehmen.

Von Ursula Burgherr

Der Secondo aus Süditalien lebt seit 10 Jahren in Schinznach-Dorf, davor war er nach eigener Aussage „eine halbe Ewigkeit“ in Brugg wohnhaft. Im Keller seiner kleinen Wohnung hat der gelernte Bäcker-Konditor eine Profi-Backstube mit Rührwerkofen, Kühlanlagen und Schockfroster eingerichtet. Immer strömen verführerische Düfte durch den Raum, sei es nach Vanille, Zimt, Zitrone oder Schokolade.

Cassano betreibt zusammen mit Marketingfachmann Kudy Reuteler den ersten reinen Internet-Kuchenversand der Schweiz (feinekuchen.ch).

7 verschiedene Sorten bereitet er teilweise nach alten Rezepten und mit naturbelassenen Ingredienzien zu, die man dann wie bei Fleurop einen Blumenstrauss, mit einer Glückwunsch- oder Grusskarte bestellen und jemandem zu einem speziellen Anlass zukommen lassen kann. Bekannt ist Cassano in der Region vor allem, weil er mit seiner Partnerin vor fünf Jahren die vor sich hinserbelnde Badi Villnachern übernommen, und sie mit der „Mittwochs-Musig“ und einer hübschen Strandbar im karibischen Look zu einem angesagten Spots in der Region gemacht hat.

Neuentdeckung für Amerika und Brasilien

Fernando Cassano war gerade mal 21 und frisch ausgelernter Bäcker-Konditor, als er in der Zeitung ein Inserat sah, das in faszinierte: Für den Aufbau der Bäckerei auf einer Farm mit biodynamischem Landanbau nahe Chicago wurde eine innovative Person gesucht. Er folgte dem Ruf, eröffnete eine Minibackstube und kaufte in ganz Amerika biologisch produziertes Korn ein. Fernando’s Vollkorn-Brot kam bei sonst an Weissbrot und Toast gewöhnte Amerikanern gut an. Bald konnte eine Mühle kaufen und hatte nach einem Jahr 25 Angestellte unter sich.

Der Betrieb existiert heute noch und weist über 120 Mitarbeiter vor. Aber Cassano zog es weiter. Seine nächste Station war São Paulo, wo er in den Favelas einer engagierten Deutschen bei der Slumsanierung mithalf. „Dazu gehörte auch, den Einwohnern bessere Ernährungsgewohnheiten beizubringen, will heissen:  kein Weissbrot sondern Vollkorn.“ Cassano improvisierte zuerst mit Haushalts- und Gasbacköfen und trieb schliesslich das Geld für einen richtigen grossen Ofen zusammen. Er fing an junge Brasilianer auszubilden, wie sie selber gesundes Brot backen können.

Ein Jahr blieb er dort, lebte von der Hand in den Mund. Dann zog er mit dem Rucksack quer durch Südamerika. „Ich schlief wie andere Tramper in einsamen Standhütten, war im Lastwagen unterwegs und arbeitete als Tellerwäscher auf einem Amazonas-Schiff.“

Nach acht Monaten kam er in die Schweiz zurück, fasste in Brugg Fuss und fing an seine Gebäcke für Events, Openairs und Restaurants zu backen. Seinen heutigen Kompagnon Kudy Reutler, mit dem er den Kuchenversand per Internet betreibt, traf er in einem kleinen Fischerdörfchen und man war sich bald handelseinig. „Das Kuchenbusiness hat mir zum Überleben verholfen“, sagt Fernando Cassano heute. „Ich konnte einen Töff kaufen und das Haus umbauen.“

Oft habe er am Existenzminimum gelebt. Aber gerade das ist seine besondere Fähigkeit. „Ich kann mich nach der Decke strecken. Das habe ich von meinen Eltern gelernt, die in die Schweiz immigrierten. Oft musste ich vier Flaschen retour bringen, damit wir uns aus dem Pfand einen Laib Brot leisten konnten.“ Seine Bescheidenheit ist geblieben und hat in reich gemacht. Reich an Erlebnissen in allen Ecken dieser Welt.

 

Oberstes Bild: © Subbotina Anna – shutterstock.com

MEHR LESEN