Werden unsere Kinder durch Handy und Internet aggressiver und asozialer?

Das ist eine Frage, die sicherlich nicht pauschal beantwortet werden kann und jetzt auch wieder Schweizer Wissenschaftler auf den Plan ruft.

Viele Eltern und Lehrer beklagen den ungebremsten Drang der Heranwachsenden, sich mit Handy und Internet zu beschäftigen. Statt einer grösseren Kommunikationsvielfalt beobachten viele Erziehungsberechtigte eine zunehmende Vereinsamung und teils auch aggressiveres Verhalten des Nachwuchses.

Allenfalls werden Nachrichten in die Geräte getippt, gelegentlich wird telefoniert und immer wieder werden im Internet unterschiedlichste Inhalte aufgerufen. Viele Kinder und Jugendliche sind Tag und Nacht mit dem Natel oder Smartphone beschäftigt, hätten im wahren Leben aber kaum echte Freunde.

Im Gegensatz dazu gibt es auch Wahrnehmungen, laut denen Kinder und Jugendliche via Handy schneller Freundschaften knüpfen. Nicht unumstritten bleibt die Wirkung der Funkstrahlen auf die Entwicklung des kindlichen Gehirns. Alles in allem zeigt sich hier ein breites Feld an Entwicklungen, das durchaus einer umfangreicheren Erforschung und Darstellung bedarf.

Kommunikation vielfältiger, aber nicht besser

An dieser Stelle kann ich den Wissenschaftlern, Pädagogen und Eltern die Arbeit an einer umfassenden Studie nicht abnehmen. Daher sind alle Feststellungen aus diesem Beitrag zwar nicht in jedem Fall zahlenmässig fundiert, entsprechen aber der Wahrnehmung der breiten Öffentlichkeit. Die Kommunikationsmöglichkeiten sind für Kinder dank Mobilfunk und Internet fraglos breiter geworden.

Allerdings ist festzustellen, dass die gebotene Breite der Kontaktmöglichkeiten mit Gleichaltrigen zunehmend aufs Natel reduziert wird. Statt des persönlichen Zusammentreffens und der sprachlichen Kommunikation von Mensch zu Mensch wird das Mobilfunkgerät zum Kontaktersatz. Spätestens preisgünstige Flatrates machen den Nachrichtenversand zu jeder Uhrzeit möglich und beliebt.

So telefonieren nach einer Kleinstudie aus der Innerschweiz Kinder und Jugendliche etwa 2 Minuten täglich, versenden im Durchschnitt etwa 20 Kurznachrichten und surfen 40 Minuten im Internet. Dem kindlichen Entdecker- und Spieldrang und der sozialen Kommunikation mit Gleichaltrigen und der Familie gehen pro Tag also etwa 62 Minuten verloren. In extremen Fällen sind Kinder und Jugendliche fast ständig „on“ und entfernen sich dabei kommunikativ zunehmend von den Kontakten mit ihrer Altersgruppe.

Handyspiele und eine eigene Sprache in den SMS machen die Situation nicht einfacher. Festzustellen ist, dass die Kommunikationsfähigkeiten von Kindern und Jugendlichen bei extremer Handynutzung eher verarmen. Extrem ist allerdings schon eine Nutzung, die 30 Minuten am Tag für Natel und Internet überschreitet. Ausnahmen bilden hier sicherlich Telefonate mit Familienangehörigen und das schulbezogene Recherchieren im Internet.

Mobiltelefon als Statussymbol

Moderne Natels und Smartphones sowie Laptops und Tablets rangieren gleichauf mit teurer Markenmode als Statussymbole der schulpflichtigen Kinder und Jugendlichen. Der Wert von Freundschaften wird in dieser Altersgruppe oftmals über den Wert von Kleidung und individueller Technikausstattung definiert. Diese Entwicklung macht nachdenklich, da hier nicht mehr das einzelne Kind mit seinen Fähigkeiten und Fertigkeiten im Mittelpunkt des Interesses steht, sondern vielmehr seine technische Ausstattung.

Dabei kommen wirkliche soziale Kontakte und ein altersgerechtes Spielverhalten mit Gleichaltrigen zunehmend zu kurz. Schüler mit teuren Handys sind im Durchschnitt in ihren sozialen Verknüpfungen anerkannter und beliebter als solche ohne Handy oder mit eher preiswerten Geräten. Damit wird der Wert zwischenmenschlicher Beziehungen unter den Kindern und Jugendlicher zunehmend auf die verfügbaren Kommunikationsgeräte reduziert.

Eine zwischenmenschliche Verarmung ist letztlich die Folge. Bedenkenswert sind für mich Beobachtungen, wie zwei Kinder im selben Zugabteil sitzen und sich via Handy miteinander unterhalten. Der Sinn des Telefonates hat sich mir dabei nicht erschlossen.


Weiterhin in der Diskussion sind auch die Wirkungen der Gerätestrahlung auf die Hirnentwicklung der Heranwachsenden. (Bild: bluedesign / Fotolia.com)

Handystrahlen in der Diskussion

Weiterhin in der Diskussion sind auch die Wirkungen der Gerätestrahlung auf die Hirnentwicklung der Heranwachsenden. Auch ohne abschliessende Studien gehen viele Forscher davon aus, dass die Menge der Handystrahlung das kindliche Gehirn aufgrund der kleineren Kopfgrösse deutlich kompakter trifft, als etwa ein ausgereiftes Gehirn eines Erwachsenen.

In der Verbindung mit der noch stattfindenden Hirnentwicklung im Kindesalter sehen hier einige Forscher den Grund für aggressiveres und teils auch asoziales Verhalten sowie für die Zunahme solcher Erkrankungen wie ADS oder ADHS. Selbst der häufige Umgang schwangerer Mütter mit dem Handy soll sich nachhaltig negativ auf die noch ungeborenen Kinder auswirken. Inwiefern hier wirklich Handlungsbedarf besteht, bleibt derzeit offen.

Eltern verlieren zunehmend den Einfluss auf die Kinder

Je mehr sich Kinder und Jugendliche mit Handy und Internet beschäftigen, desto weniger Zeit bleibt für die sozialen Kontakte auch innerhalb der Familien. Freunde in den sozialen Netzwerken, der ständige Austausch von SMS und unkontrolliertes Surfen im Internet führen zu einer oftmals zu konstatierenden Entfremdung zwischen Eltern und Kindern. Zumal das Handyverhalten der meisten Erwachsenen ohnehin deutlich von dem der Kinder abweicht.

Die vermeintlich feste Verankerung in Online-Freundeskreisen etwa bei Facebook erscheint den Heranwachsenden wichtiger als die elterliche Zuwendung und der gut gemeinte Rat der Erwachsenen. Hipp ist, wer on ist! Alles andere scheint mit zunehmendem Kindesalter nicht mehr zu zählen. Die vielseitigen, teils widersprüchlichen Meinungen im Netz und die zeitlos immer mögliche Rückversicherung über Mitschüler, Freunde und Bekannte entzieht den Eltern zunehmend die normalen Einflussmöglichkeiten auf die Erziehung und Entwicklung der eigenen Kinder. Das führt letztlich auch zu einem kindlichen Ausweichverhalten, dass gern als aggressiv und asozial beschrieben wird.

Dringlichst erforderlich scheint ein Paradigmenwechsel im kindlichen Umgang mit Handy und Internet. Kinder sollen und müssen es wieder lernen, sich im direkten Kontakt mit Gleichaltrigen zu profilieren, eine normale zwischenmenschliche Kommunikation zu führen und am Leben ohne Handy und Internet teilzuhaben. Für manche Jugendliche erscheint allein schon die Vorstellung eines Lebens ohne Smartphone bedrohlich. Eine Tatsache, die zu denken geben sollte. 

 

Oberstes Bild: © Wrangler / Fotolia

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