Zuwanderungsinitiative: Kurzfristige Wirkungen und skurrile Ideen
von Olaf Hoffmann
Trotz des komfortablen Zeitpuffers überschlagen sich die Medien fast täglich mit neuen Meldungen, Erkenntnissen und Ideen, wie denn die Zuwanderungsinitiative EU-konform, sozialverträglich, wirtschaftlich sinnvoll und so weiter umgesetzt werden könnte.
Hysterie bremst Arbeit an der Umsetzung
Zwar könnte jede neue Idee hilfreich sein, allerdings nur dann, wenn nicht um jeden laut geäusserten Gedanken ein wahrer Hype entstünde. So baut sich eine Art Hysterie auf, die mehr bremst als nutzt. Jeder, der sich mit einer gut gemeinten Gedankenspielerei an die Öffentlichkeit begibt, wird sofort hinterfragt, nach Umsetzungschancen ausgehorcht, Verbindungen und Netzwerke werden geprüft und am liebsten wird die Unmöglichkeit der geäusserten Idee gleich mit auf dem Silbertablett offeriert. Das stiehlt Zeit, Raum und Möglichkeiten für ein sorgfältiges Abwägen der Umsetzungsmöglichkeiten und macht damit jedes Arbeiten am Problem unmöglich. So viel vornweg.
Allerdings tauchen da auch so einige skurrile Ideen auf, von denen man am liebsten nichts gehört hätte. Zu diesen zählt in meiner Sicht auf die Dinge auch der Gedanke, auf die Zuwanderer so etwas wie eine Kopfsteuer zu erheben. Die Rede ist hier von etwa 2000 Franken pro Kopf.
Erreicht werden soll damit, dass nur Zuwanderer kommen, die hierzulande genügend verdienen können, um diese Steuer auch zu zahlen. Was aber ist mit den nachziehenden Familien, was mit den Kindern, die eventuell nach der Zuwanderung geboren werden? Was ist mit staatlich inspiriertem und organisiertem Menschenhandel?
Eine Reihe von Fragen, die auch offenlassen, ob der Zuzug überhaupt mit fiskalischen Aspekten gesteuert werden sollte. Ich selbst erachte diese Idee als eher skurril, weil sie doch auch Menschen bevorteilt, die sich in ihren Herkunftsländern diese Kopfsteuer irgendwie zusammenorganisieren, um damit in die Schweiz zu kommen.
Auch in der Wirtschaft wird diese fiskalische Idee eher belächelt oder trifft auf harten Widerstand. Für so manches Unternehmen bedeutet die Kopfsteuer, dass es sich seine Fachkräfte mit ausländischen Wurzeln gewissermassen einkaufen muss. Grosse, milliardenschwere Unternehmen leisten das aus der Portokasse, der Mittelstand greift tief ins Säckel und die kleinen Unternehmen müssen schlimmstenfalls auf die dringend benötigten Fachkräfte verzichten.
Abkupfern erlaubt
Sinnvoller erscheint es mir da, doch einmal in andere Länder zu schauen, wie diese mit der Zuwanderung umgehen. So kann es durchaus möglich sein, ein Bleiberecht über den Touristenstatus hinaus nur denen einzuräumen, die in der Schweiz ihren Lebensunterhalt und den ihrer Familie aus eigener Kraft bestreiten können. Das betrifft dann Zuwanderer mit Arbeitszusage oder ausreichend verdienende Selbstständige, nicht aber unqualifizierte Wohlstands-Aussiedler, die von Beginn an auf Sozialleistungen schielen. Davon können übrigens auch unsere deutschen Nachbarn mehr als nur ein Lied singen. Wirtschaftsflüchtlinge sind keine Option, auch nicht innerhalb der Regeln der EU.
Kanada, die USA und Australien machen prinzipiell vor, wie es geht. Hier ist Abkupfern durchaus erlaubt, auch wenn keines dieser Länder zur EU gehört. Immerhin müssen die dortigen Modelle nicht eins zu eins übernommen werden, Modifikationen sind möglich. Ich glaube nicht, dass die Schweiz hier wirklich etwas ganz Neues erfinden muss, schon gar nicht eine Kopfsteuer.
Zuwanderungsinitiative angeblich ins Gegenteil verkehrt
Die ersten Schlaumeier haben in den Monaten nach dem Volksentscheid gegen die Massenzuwanderung auch schon prima gerechnet. Festgestellt haben sie, dass seit Verabschiedung des Neins zur Massenzuwanderung mehr Ausländer in die Schweiz gekommen seien als zuvor. Eine wahre Milchmädchenrechnung.
Klar nutzen jetzt Umzugswillige und Zuzugsfähige die Möglichkeit, noch ohne irgendwelche Kontingente, Quotenregelungen oder Kopfsteuern in die Schweiz zu kommen. Solch eine Entwicklung ist alles andere als verwunderlich, sondern war schon vorher zu erwarten.
Damit verkehrt sich die Zuwanderungsinitiative längst nicht ins Gegenteil. Immerhin ist diese Initiative auf die Zukunft und auf Dauerhaftigkeit und nicht auf den geschichtlichen Moment abgestellt. Das sollten sich die Schlaumeier und Prozentrechner zunächst vergegenwärtigen.
Fragen Sie doch einfach die Leute
Heerscharen von Wissenschaftlern, plötzlich etablierten Experten, Politikern, Wirtschaftsfachleuten und Rechtsverständigen beschäftigen sich seit einigen Monaten damit, wie das Nein zur Massenzuwanderung denn in die politische und gesellschaftliche, aber auch wirtschaftliche Realität umgesetzt werden könnte. Es werden sinnige und unsinnige Ideen entwickelt, es wird gerechnet, spekuliert und kommuniziert. Nur den Souverän fragt jetzt keiner mehr. Dabei hat doch der Souverän mit einer Art Schwarmintelligenz eine Entscheidung herbeigeführt.
Warum nicht auch jetzt das Volk danach fragen, wie die Zuwanderungsinitiative wohl am besten umgesetzt werden könnte? Traut man dem Normalbürger nicht genügend Kompetenz und Übersicht zu, auch solche Fragestellungen mit Weitsicht und Intelligenz zu beantworten? Nicht jede Idee wird da umsetzbar, EU-konform und ethisch sauber sein. Aber dennoch dürften sich auch hier Gedanken finden, die gangbare Wege aus der Misere zwischen Wollen, Können und Sollen weisen. Einen Versuch ist es allemal wert, und Möglichkeiten zur Ideensammlung gibt es reichlich. Volksdemokratie ist eben nicht immer leichte Kost und muss manchmal auch gemeinsam verdaut werden.
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