Ukraine: Gehen protestantische Christen jetzt in den Untergrund?

Protestantische Christen in der Ukraine hatten sich auf mögliche Szenarien vorbereitet. Sie haben nicht vergessen, was es heisst, verfolgt zu werden – so wie damals in den Sowjetzeiten.

Die Ukraine ist ein komplexes Land. Sie erlangte vor etwas mehr als 30 Jahren ihre Unabhängigkeit von der Sowjetunion, war aber nie ein Staat, der durch Einheitlichkeit gekennzeichnet war.

Stattdessen ist sie eine Nation mit „ethnisch-religiösen Verwerfungen“, sagt Elizabeth Kendal, Analystin und Anwältin für Religionsfreiheit. „Die Bevölkerung im Nordwesten ist ethnisch überwiegend ukrainisch, ukrainisch-sprachig und hat ukrainisch-orthodoxe und katholische Religionszugehörigkeit. Die Einwohner im Südosten sind ethnisch überwiegend russisch, russischsprachig und gehören der russisch-orthodoxen Kirche an.“

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„Wir würden für euch öffnen“

Yarsolav „Slavik“ Pyzh, Präsident des Ukrainischen Baptistischen Theologischen Seminars, äusserte sich gegenüber der christlichen Zeitschrift „Christianity Today“: „Die Kirchen haben sich bereits abgestimmt. Diejenigen, die sich im westlichen Teil der Ukraine befinden, haben unseren Schwestern und Brüdern in anderen Teilen der Ukraine gesagt: ‹Wenn etwas passiert, werden wir unsere Häuser und Kirchen für euch öffnen›.“

Baptisten würden in Untergrund gehen

Die Baptistengemeinden in der Ostukraine würden in den Untergrund gehen, sagte Pyzh. „Sie müssen verstehen, dass wir diese Erfahrung historisch gesehen bereits unter der Sowjetunion gemacht haben.“ Die protestantische Kirche hat nicht vergessen, was es bedeutet, verfolgt zu werden. „Ich denke, dass wir uns neu organisieren werden, und das tun, was wir immer tun, nämlich das Evangelium verkünden.“

Open Doors ruft zu Religionsfreiheit auf

Open Doors ruft alle Seiten dazu auf, die Religionsfreiheit aktiv zu schützen, das beinhaltet die Anerkennung und den Schutz des Rechts aller Christen – orthodoxer und nicht-orthodoxer –, sich frei zu versammeln und zu beten, privat oder öffentlich, in Gruppen oder individuell. Ein Sprecher von Open Doors: „Wir fordern die Behörden in allen Regionen auf, die Kirchen unabhängig von ihrem Registrierungsstatus oder der Grösse ihrer Gemeinde rechtlich anzuerkennen, damit sie friedlich arbeiten und gleichen Zugang zu allen Ressourcen haben können.“

Christliche Aktivitäten werden illegal

Die Kirchen in der ostukrainischen Donbass-Region sind seit 2014 zunehmend unter Druck geraten, nachdem regierungsfeindliche Proteste zu einem von Russland unterstützten Aufstand in den Provinzen Donezk und Luhansk geführt hatten, wo Rebellen selbsternannte unabhängige Republiken gegründet hatten.

Der Krieg zwischen den von Russland unterstützten Separatisten und der Regierung in Kiew hat im Laufe der Jahre Millionen von Menschen zur Flucht veranlasst; mindestens 14’000 Menschen wurden getötet und eine humanitäre Krise ausgelöst.
Im November erklärte die Europäische Evangelische Allianz (EEA) den Donbass zu dem Gebiet in Europa, „in dem die Kirche aufgrund des Konflikts und der Verletzung der Religionsfreiheit am meisten leidet“.

Schwierigkeiten für Nicht-Russland-treue Kirchen

Die Behörden in den beiden selbsternannten Republiken haben Vorschriften erlassen, wonach sich religiöse Organisationen registrieren lassen müssen. Für Kirchen, die nicht dem Moskauer Patriarchat der Orthodoxen Kirche angehören, erwies sich die Einhaltung dieser Vorschrift als äusserst schwierig. Eine im Dezember 2019 von den Behörden in Luhansk erstellte Liste von 195 registrierten religiösen Organisationen zeigte, dass keiner einzigen protestantischen Gemeinschaft eine Genehmigung erteilt worden war.

„Wie in den alten Zeiten der Sowjetunion wird die Pflicht zur Registrierung bei den Behörden dazu benutzt, bestimmte christliche Aktivitäten zu verbieten. Keine Registrierung bedeutet, dass man keinen Zugang zu Gas, Strom oder Wasser hat – was kirchliche Aktivitäten praktisch unmöglich macht“, sagte Rolf Zeegers, Analyst für Verfolgung bei Open Doors.

Kirchen verboten

Im Juni letzten Jahres wurden drei protestantische Kirchen von den Behörden in der selbsternannten Volksrepublik Donezk verboten, und bei anderen wurden die Gebäude beschlagnahmt. Im August wurden Bücher von Charles Spurgeon und Billy Graham von einem Gericht in der Volksrepublik Luhansk auf eine Liste verbotener „extremistischer“ Literatur gesetzt.

Da Donezk und Luhansk ausser von Russland nicht offiziell von der internationalen Gemeinschaft anerkannt werden, sind sie nicht an die internationalen Menschenrechtsabkommen gebunden.

„Die offizielle russische Anerkennung der Volksrepubliken Luhansk und Donezk wird die Rebellen nur dazu ermutigen, ihre Praktiken fortzusetzen“, so Zeegers. „Ich erwarte (fast) keine Änderungen zu dem, was bereits geschieht. Das kann sich ändern, wenn Russland beschliesst, die beiden Rebellengebiete zu annektieren, denn dann wird die offizielle russische Gesetzgebung umgesetzt“, wie im Fall der Krim.

 

Quelle: Open Doors Schweiz
Titelbild: Milan Sommer – shutterstock.com

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