Kulturhistorische Zeitzeugen: Zwischen Ställen und Alphütten

Alphütten, die seit Generationen bewirtschaftet werden und jahrhundertealt sind, findet man überall in der Schweiz. Dabei ist ein Älpler heutzutage nicht mehr der typische Almöhi: Viele junge Leute ziehen zum Leben hoch in die Berge und wollen sich in der Stille der Alpen eine Auszeit gönnen.

Die Auszeit allerdings nur vom Alltag – nicht von der Arbeitswelt. Auf der Alp hat man einen harten Job, der aber auch schön ist. Von Jahr zu Jahr ziehen im Frühsommer die Älpler mit dem Vieh nach oben, um ein spartanisches Leben zu führen.

Interessenten für das Leben auf der Alp melden sich aus aller Herren Länder: Studenten, Akademiker oder Aussteiger, von denen viele bald wieder aufgeben, aber andere finden darin ihre Passion.

In einer topmodernen Hütte wohnt auf der Alp niemand – egal, ob man das schon sein ganzes Leben lang macht oder ein Neuling ist. Mittlerweile gibt es an Komfort eine Toilette und vielleicht auch ein bequemeres Bett, aber all das musste derjenige Älpler sich schon selbst schaffen. Das Essen wird noch immer auf dem alten Herd zubereitet, der die Hütte ordentlich warm macht – aber nur so kommt man auch an warmes Wasser. Schon Generationen sassen an demselben rustikalen Holztisch mit Eckbank. Wer auf die Alp geht, muss sich zunächst einmal mit allen nötigen Reparaturen beschäftigen, die über den Winter an Hütten und Ställen angefallen sind. Selbst mit dem Internet, das seinen Siegeszug jetzt auch in der Alphütte feiert, und fliessendem Wasser noch hat man das Gefühl, dass die Zeit hier oben stehengeblieben ist.

Während die meisten Ställe und Hütten sich in Privatbesitz befinden, stellt sich die Frage, was mit den Hütten und Ställen passiert, die leider schon ausgedient haben oder die Reparaturen und Instandsetzung das Budget des jeweiligen Bauern übersteigen. Überall in der Schweiz findet man leerstehende Ställe, deren genaue Zahl keiner kennt. Auch über die Zuständigkeit sind sich die Behörden nicht einig – lediglich darüber, dass es eine Schande wäre, die alten Gebäude einfach so verfallen zu lassen.

Die Stiftung Landschaftsschutz, der Heimatschutz, die Bauernhausforscher, die Schweizerische Vereinigung für Landschaftsplanung und die Schweizerische Arbeitsgemeinschaft für die Berggebiete haben sich jetzt des Problems angenommen. Auch die Denkmalpflege tritt natürlich dann in Aktion, wenn es sich um schützenswerte Hütten dreht. Etliche Rustici im Tessin wurden über Jahre hinweg illegal umgebaut, damit sie als Ferienhäuser genutzt werden können. Für Bauunternehmer ist das natürlich begrüssenswert – für den Landschafts- und Heimatschutz eher weniger. Meist geht der charmante Charakter der alten Gebäude dabei verloren und das Landschaftsbild leidet unter der Einrichtung von Parkplätzen, Stromleitungen und Zufahrten.


Die Auszeit auf der Alphütte. (Bild: © Michael Thaler – shutterstock.com)

Auf Häderen im Alpsteingebiet gibt es ein Vorzeigeprojekt: Drei charakteristische Ställe wurden hier von der Alpgenossenschaft fachgerecht und mit Rücksicht auf das Landschaftsbild wie auf die alte Baukultur renoviert. Dazu haben auch die Denkmalpflege, der Heimatschutz sowie Zuwendungen von Privatleuten beigetragen. Neue Mauern entstanden aus alten Bruchsteinen. Zunächst war ein Neubau geplant, der anstelle des alten Gebäudes seinen Platz hätte finden sollen, aber glücklicherweise konnte man die alten Bauten retten, denn sie gelten als regionaltypisch und schützenswert.

Die Alp Pra San Flurin im Unterengadin ist ein weiteres Beispiel für die grosse Verantwortung, die die Denkmalpflege auch in abgelegenen Gebieten übernimmt. Es handelt sich um eine der letzten ursprünglichen Alphütten der Gegend, die vor über 200 Jahren auf 1911 Metern Höhe am Sent erbaut wurde. Als Voralp wurde sie bis 1964 für Rinder genutzt, dann wurde Galtvieh dort gesömmert. In einem Neubau aus den 70er Jahren brachte man einen modernen Melkstand unter, der über eine Milchleitung ins Tal verfügt. Das machte die alte Alphütte eigentlich wertlos. Dennoch gibt es eine gut erhaltene Einrichtung mit Käse- und Milchkeller, die die Alp erhaltenswert machen.

2002 fasst der Vorstand der Società d’Ütli den Beschluss, die Alphütte zu erwerben, damit sie keinen Spekulaten in die Hände fallen würde. Auch halfen Privatleute, das Kantonale Amt sowie lokale Institutionen mit, die finanziellen Mittel aufzubringen. Die Nutzung war zu diesem Zeitpunkt noch unklar, heute kann sie wohl für private Anlässe gemietet werden.

Die Denkmalpflege stellt ein grosses Budget zur Verfügung, um Projekte in den Alpen zu realisieren. Eigentümer alter und schützenswerter Gebäude können Anträge auf Förderungen stellen, die dann überprüft werden müssen. Die Fachkommission Denkmalpflege in Appenzell Innerrhoden finanzierte so zum Beispiel die Sanierung der Alphütte Fidler.



Ein Blick in eine Hütte gleicht einer Zeitreise, auf der man Geschichten von Jahren harter Arbeit Hand in Hand mit der Natur erzählt bekommt. Jahreszahlen längst vergangener Tage, die in Türpfosten geritzt wurden, Geräte, die uralt sind und heute lediglich als Dekoration dienen, oder auch die Älpler selbst, die Geschichten aus alten Zeiten erzählen, machen den Besuch einer Alphütte zu einem besonderen Erlebnis. Ein 84-jähriger Älpler im Urnerland bat einmal eine Wandergruppe in seine Hütte, als er merkte, dass sie sich für das Objekt interessierte. Bald sassen alle um ihn herum, um den alten Mann, der die Geschichte seines Lebens erzählte, in dem er jeden Sommer mit seinen Tieren auf der Alp verbrachte, er zeigte sogar Fotos aus all den Jahren. Man kann nur hoffen, dass diese Hütte und die Alp drum herum auch dann noch erhalten bleiben, wenn der alte Mann nicht mehr da sein wird.

 

Oberstes Bild: © by Paul – shutterstock.com

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