Wetter-Schweiz: Gegenstromlage auf der Alpensüdseite

Normalerweise wirken sich Gegenstromlagen eher nördlich der Alpen aus, indem feuchtwarme Südwinde auf die aus Norden eingesickerte Kaltluft treffen und in der Folge auf der Kaltluft aufgleiten.

Dies führt dann in der Regel zu ergiebigen Niederschlägen. Heute kam ausnahmsweise die Alpensüdseite in den «Genuss» einer Gegenstromlage. Was diese bewirkte, wird im heutigem Blog näher erläutert.

Typische Gegenstromlage – oder wenn kühlere Luft aus dem Norden auf wärmere Luftmassen aus dem Süden trifft

Eine Gegenstromlage entsteht, wenn in einem grösseren Bereich Strömungen aus mehr oder weniger entgegengesetzter Richtung aufeinandertreffen. Meistens haben diese Luftmassen ganz unterschiedliche Eigenschaften. Speziell ausgeprägt sind diese Unterschiede, wenn warme und feuchte Luft aus südlicher Richtung auf eine deutlich kältere Luftmasse aus dem Norden trifft. In diesen Fall schiebt sich die kalte Luft keilförmig unter die warme Luft, welche ihrerseits aufgleitet. Das Aufgleiten der feuchten und warmen Luftmasse führt dann zu Kondensationsprozessen und in der Folge zu grossflächigen Niederschlägen.


3. Mai 2002 18 UTC: Typische Gegenstromlage auf der Alpennordseite. Während auf 700 hPa – dies entspricht etwa einer Höhe von 3000 M. ü. M. – eine starke Südströmung (roter Pfeil) warme und feuchte Luft zum Alpenraum führt (linkes Bild), fliesst auf 850 hPa – entspricht etwa 1500 M. ü. M. – aus Norden (blauer Pfeil) kältere Luft zur Alpennordseite (rechtes Bild). Quelle der Graphiken: https://www.wetter3.de/Archiv/.

Typische Gegenstromsituationen führen oft zu ergiebigen Niederschlägen beidseits der Alpen

Die oben beschriebene Wetterlage führt oft in weiten Teilen der Schweiz zu ergiebigen Niederschlägen. Allerdings ist dann nicht überall der Aufgleitprozess für die Niederschläge verantwortlich. Vielmehr sorgen in diesem Fall die feuchtwarmen Südwinde auf der Alpensüdseite zu einem gewöhnlichen Südstau mit ausgiebigen Niederschlägen, welche eventuell auch konvektiv durchsetzt sind.

Die Südwinde überqueren anschliessend die Alpen, können dann aber – weil nördlich der Alpen in den unteren Luftschichten aus Norden kalte Luft zugeführt wird – nicht absinken. Vielmehr sind sie gezwungen, am Kaltluftkeil aufzusteigen, was auch nördlich der Alpen kräftige Niederschläge auslöst.

Die Lage ist allerdings kompliziert, denn bei tiefdruckbestimmter Südlage greifen die Niederschläge der Alpensüdseite oftmals weit über den Alpenkamm noch Norden aus, auch wenn nördlich der Alpen keine Kaltluft lagert. Es herrscht dann eine sogenannte Dimmerföhnlage. „Dimmer“ ist ein ein Urner Mundartausdruck und bedeutet dunkel oder dämmrig. Mit „Dimmerföhn“ ist also ein kräftiger Südwind in den Alpentälern bei gleichzeitig trübem Wetter und strömendem Regen gemeint.

Bei einer typischen Gegenstromlage herrscht in den Alpentälern aber kein Dimmerföhn, sondern eher ein schwacher, kalter Nordwind. Die Niederschläge, welche dann am Alpennordhang fallen, sind dann zu einem Teil bedingt durch das Übergreifen der kräftigen Niederschläge von der Alpensüdseite her, anderseits aber auch durch die oben beschriebenen Aufgleitprozesse. Ein typischer Fall war der 3. Mai 2002.


Niederschlagsmengen vom 3. Mai 2002 [mm]. Damals herrschte im Alpenraum eine typische Gegenstromlage. Während die Niederschläge auf der Alpensüdseite einzig und allein durch den Südstau bedingt waren, kann man die Niederschläge nördlich der Alpen auf übergreifende Niederschläge von Süden her (vor allem in Alpenkammnähe) sowie auf Aufgleitprozesse (vor allem in den Voralpen und im Raum Zürich) zurückführen.

Die ausgiebigen Niederschläge vom 16. November 2002, welche in der Surselva eine Unwetterkatastrophe auslösten, waren nicht die Folge einer Gegenstromlage, sondern bedingt durch die stürmischen Süd- bis Südwestwinde, welche die Niederschläge vom Alpensüdhang weit über den Alpenkamm nach Norden verfrachteten. Von der Ausdehnung und Lage her ist diese Niederschlagsverteilung nicht sehr leicht von einem Fall mit einer typischen Gegenstromlage unterscheidbar. Übrigens herrschte damals in Österreich und in Salzburg ein gewaltiger Föhnsturm. Er warf ca. 4 Mio. Kubikmeter Holz um und war in diesen Gebieten einer der verheerendsten Stürme seit Menschengedenken.

Heutige Gegenstromlage auf der Alpensüdseite

Heute kam es ausnahmsweise auf der Alpensüdseite zu einer Gegenstromlage. Dabei floss in den unteren Luftschichten kühle Luft aus Osten bis Südosten zum Alpensüdfuss. In der Höhe herrschten hingegen westliche bis nordwestliche Winde vor. Allerdings war heute der Aufgleitprozess der wärmeren Luft kaum massgebend. Vielmehr konnten sich an der Untergrenze der etwas wärmeren Luft einige Schauer bilden, welche für den trüben Wettercharakter auf der Alpensüdseite verantwortlich waren.


DAS AMDAR-Profil über Milano zeigt die Gegenstromlage ganz deutlich auf. Während in den unteren Luftschichten aus Osten bis Südosten kühle Luft herangeführt wurde (blau hinterlegt), waren oberhalb 720 hPa (ca. 2800 M. ü. M.) westliche bis nordwestliche Winde auszumachen (rot hinterlegt).

12-stündige Niederschlagsmengen gemäss Radar kombiniert mit den Niederschlagsmessstationen auf der Alpensüdseite bis heute, den 29. Mai 2022, 12 UTC. Besonders im Mittel- und Südtessin kamen lokal über 20 mm zusammen.

Deutlich freundlicher als auf der Alpensüdseite und in weiten Teilen von Graubünden präsentierte sich heute das Wetter im Mittelland, im Jura und im Wallis. In Zürich zum Beispiel konnte insgesamt von einem ziemlich sonnigen Tag gesprochen werden. Bild: Christa Hayoz.

Titelbild: Bei Gegenstromlagen herrscht oft ein neblig-trüber Eindruck. Dies war heute auf dem Monte San Salvatore bei Lugano nicht anders. Wer allerdings glaubt, dass neblig-trübes Wetter auf der Alpensüdseite nur bei Gegenstromlagen ein Thema sind, weiss nichts von Südstaulagen.

 

Quelle: Bundesamt für Meteorologie MeteoSchweiz
Titelbild: https://sansalvatore.roundshot.com

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