Diabetes – was tun?

Nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation WHO leiden derzeit weltweit rund 350 Millionen Menschen unter Diabetes. Trockene Haut, Durst, starker Harndrang: Die Stoffwechselerkrankung kann sich mit verschiedenen Symptomen bemerkbar machen.

Zum Thema Diabetes erkennen und behandeln befragten wir Univ.-Prof. Dr. med. Werner A. Scherbaum, Internist, Endokrinologe/Diabetologe, Rheumatologe, Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf.

Prof. Scherbaum, stimmt es, dass ein hoher Stresslevel die Entstehung von Diabetes begünstigen kann?

Prof. Dr. med. Werner A. Scherbaum: „Akuter Stress führt zu einer Erhöhung des Blutzuckers. Ferner wird durch einen akuten Stress die Blutzuckereinstellung bei einem vorbestehenden Diabetes verschlechtert und der Insulinbedarf steigt an. Dies betrifft insbesondere Menschen mit Typ-2-Diabetes, weil unter Stress die körpereigene Insulinsekretion vermindert wird.

Stress kann durch extreme körperliche Belastung wie z.B. einen Unfall, schwere Verbrennungen, Operation oder Krankheit oder auch durch eine seelische oder soziale Belastung wie z.B. Eheprobleme oder berufliche oder finanzielle Probleme auftreten.

Bei der akuten Stressreaktion schüttet der Körper zahlreiche Hormone aus, die zu einer raschen Bereitstellung von gespeicherter Energie, insbesondere von Zucker und Fett führen mit dem Ziel, die Abwehrreaktion oder Fluchtreaktion zu optimieren. Darunter steigt der Blutzucker akut an. Wenn Stress länger anhält, so kann auch der Blutzucker länger hoch bleiben. Menschen mit einem chronischen seelischen Stress haben auch häufig eine Angststörung oder eine Depression.

In mehreren epidemiologischen Arbeiten konnte ein Zusammenhang zwischen der Diabeteshäufigkeit mit einem niedrigen sozioökonomischen Status und chronischen Stressfaktoren nachgewiesen werden. Zum Beispiel zeigte eine prospektive Untersuchung in Afrika, dass Diabetes in der städtischen Bevölkerung mehr als doppelt so häufig ist wie auf dem Land und dass dies u.a. mit einem höheren Stresslevel der Stadtbewohner verbunden ist.

Eine Metaanalyse von 13 europäischen Studien mit insgesamt mehr als 120.000 Menschen zeigte, dass Stress bei der Arbeit mit einem vermehrten Auftreten von Typ-2-Diabetes verbunden ist, wobei dies insbesondere bei sozial Schwachen und bei Arbeiten mit einem geringen Entscheidungsspielraum zu Tage trat.

Auch eine andere Analyse von insgesamt 19 Kohortenstudien mit mehr als 222.000 Menschen, bei der die Beziehung zwischen der Wochenarbeitszeit und der Diabeteshäufigkeit untersucht wurde, zeigte, dass lange Arbeitszeiten nur bei der Gruppe mit einem niedrigem Sozialstatus mit Stress und einer höheren Diabeteshäufigkeit verbunden sind.

Bei Menschen mit Typ-1-Diabetes kann sich seelischer Stress unterschiedlich auswirken, insbesondere weil dadurch die Nahrungszufuhr durcheinandergebracht wird und auch die Sorgfalt der Blutzuckerkontrolle und der Anpassung der Insulindosis leidet. Es kommt dann meist zu einer instabilen Blutzuckereinstellung mit teils zu hohen Werten und teils Unterzuckerungen. Beim Typ-2-Diabetes führt chronischer seelischer oder sozialer Stress meist zu einer Steigerung des Blutzuckers. Gegen den mentalen Stress hilft es oft, ein Bewegungsprogramm zu absolvieren, abzuspannen und einem Hobby nachzugehen. Auch Atemübungen oder Yoga können dabei hilfreich sein.“

Studien haben ergeben, dass Ausschlafen einen positiven Einfluss auf die Insulinwirkung hat. Woran liegt das?

Prof. Dr. med. Werner A. Scherbaum: „Das ist eine zwiespältige Angelegenheit: Zu lange zu schlafen ist nicht unbedingt gut. Zwischen der Schlafdauer und Risiko für Typ-2-Diabetes gibt es eine U-förmige Dosis-Wirkungs-Beziehung. Je nach Individuum ist eine Schlafdauer von 7-8 Stunden optimal. Bei deutlich weniger Schlaf, aber auch bei zu viel Schlaf kommt es zu einer Steigerung der Diabeteshäufigkeit.

Dies sind aber nur Mittelwerte; es gibt auch Menschen, die schon nach 5-6 Stunden ausgeschlafen sind. Das ist genetisch individuell festgelegt. Es ist nicht genau bekannt, über welche Mechanismen das Diabetesrisiko bei Schlafstörungen ansteigt. Es gibt jedoch zunehmend Hinweise darauf, dass es bei Schlafmangel zu einer Aktivierung des Endocannaboidsystems kommt, was zu einer erhöhten Freisetzung des Hungerhormons Ghrelin und einer Hemmung der Ausschüttung des Sättigungshormons Leptin aus dem Zwischenhirn und damit zum Übergewicht und Diabetes führt.

Außerdem konnte kürzlich im Experiment gezeigt werden, dass Schlafmangel die Vorliebe für fette Speisen und Junkfood erhöht.“



Welche Rolle spielt die Zusammensetzung der Darmflora bei der Entstehung von Typ-1-Diabetes?

Prof. Dr. med. Werner A. Scherbaum: „Ob die Darmflora eine Rolle bei der Entstehung des Typ-1-Diabetes spielt, das wissen wir nicht so genau. Für den Typ-2-Diabetes scheint sie allerdings eine gewichtige Rolle zu spielen. Der Darm beherbergt ein enormes mikrobielles Ökosystem, das 100-Mal mehr Gene (Metagenom) umfasst als der menschliche Körper. Das Mikrobiom des Darms mit seinen ca. 100.000.000.000.000 Bakterien, Viren und Protozoen hat ein Gewicht von fast 2 kg.

Die Stoffwechselprodukte dieses intestinalen Mikrobioms haben mannigfaltige Auswirkungen auf unseren eigenen Stoffwechsel und unser Immunsystem. Etwa die Hälfte der Darmflora ist allen Menschen gemein; die andere Hälfte ist vollkommen variabel, anhängig von der genetischen Ausstattung und von unserer Ernährung. Das sog. Metagenom ändert sich z.B. bei rein pflanzlicher oder tierischer Kost innerhalb kürzester Zeit.

Es ist gezeigt worden, dass bestimmte Veränderungen der Darmflora u.a. mit Übergewicht, Diabetes und dem Dickdarmkarzinom zusammenhängen. In neueren Studien konnte nachgewiesen werden, dass Bakterien bei deren Stoffwechsel vermehrt Buttersäure entsteht, für den Glukosestoffwechsel günstig sind und das Diabetesrisiko reduzieren.

In naher Zukunft sind auch Interventionsstudien zu erwarten, bei denen das Mikrobiom des Darmes gezielt verändert wird, um die Entstehung bestimmter Krankheiten wie des Diabetes zu verhindern. Wir stehen da am Beginn einer völlig neuen Entwicklung in der Medizin, deren weitreichende Folgen noch nicht abzuschätzen sind. Ich halte es für sehr spannend zu sehen, wie wir uns nicht nur in unserem Umfeld, sondern auch in uns selber in einem ökologischen System der Natur bewegen.“

Warum wird die Stoffwechselerkrankung Diabetes oft erst so spät erkannt?

Prof. Dr. med. Werner A. Scherbaum: „Der Diabetes tut eben nicht weh und beim Typ-2-Diabetes sind zumindest die anfänglichen Symptome meist wenig beeindruckend. Beschwerden wie Müdigkeit und Leistungsschwäche sind nicht krankheitsspezifisch und werden oft fehlgedeutet.

Wir wissen, dass die Diagnosestellung beim Typ-2-Diabetes i.d.R. um 5-8 Jahre verzögert ist. In diesem Stadium kann der Diabetes nur durch eine Blutuntersuchung aufgedeckt werden.  Selbst bei den Ärzten wird ein leicht erhöhter Blutzuckerwert oft bagatellisiert. Die Diagnosesicherung ist aber der erste Schritt für die Einleitung einer geeigneten Therapie und für die Vermeidung von diabetesbedingten Komplikationen.“


Beschwerden wie Müdigkeit und Leistungsschwäche werden oft fehlgedeutet. (Bild: Stokkete – Shutterstock.com)

Gibt es Fortschritte in der Entwicklung von Insulinpumpen?

Prof. Dr. med. Werner A. Scherbaum: „Die gibt es in der Tat. Zum einen sind dies viele kleine, aber für den Anwender sehr nützliche Verbesserungen wie z.B. die Miniaturisierung der Pumpen, die Entwicklung robusterer Infusionssets, die Entwicklung von sog. Patch-Pumpen. Alles in Allem Pumpen, die eine einfachere Handhabung erlauben und mit weniger Bedienfehlern verbunden sind. Darüber hinaus wurden auch leichter bedienbare Blutglukosemessgeräte und speziell auch Geräte für das kontinuierliche Glukosemonitoring, das CGM, entwickelt.

Das war dann alles die Voraussetzung für die Kopplung von neuen Insulinpumpen mit dem kontinuierlichen Glukosemonitoring, wodurch die Möglichkeit für die sensorunterstützte Pumpentherapie geschaffen wurde. Dies erlaubt z.B. die Auslösung eines Alarms, wenn sich der Blutzuckerspiegel zu weit nach unten bewegt. Der nächste Schritt war dann die Verbindung eines solchen Alarms mit dem automatischen Abschalten der Pumpe.

Damit kann nun der Glukosesensor in die Insulinabgabe der Pumpe eingreifen. Über einen bestimmten Algorithmus kann das System so eingestellt werden, dass die Pumpe schon vorsorglich bei einer absehbaren Gefahr für eine Unterzuckerung abschaltet. Davon profitieren jetzt schon zahlreiche Patienten mit Typ-1-Diabetes, insbesondere Patienten mit einer instabilen Einstellung und der Gefahr für schwere Unterzuckerungen.

Mit der sensorunterstützten Pumpentherapie wurden nun aber auch die technischen Voraussetzungen für die Entwicklung einer künstlichen Bauchspeicheldrüse geschaffen, die im Sinne eines Closed-Loop-Systems, also mit einem geschlossenen Regelkreis, ebenso wie unser Körper eine bedarfsgerechte Insulinabgabe steuert.“

 

Artikel von: medicalpress.de
Artikelbild: © adriaticfoto – Shutterstock.com

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