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Exit begleitete 2013 über 450 Menschen in den selbstbestimmten Tod

05.05.2014 |  Von  |  Beitrag

[vc_row][vc_column width=“1/1″][vc_column_text]Die Umstände und den Zeitpunkt unserer Geburt können wir selbst nicht bestimmen. Was wir unter bestimmten Umständen aber ziemlich genau beeinflussen können, ist die Wahl des Zeitpunktes für den Tod.

In der Schweiz zumindest ist der selbstgewählte Tod seit einigen Jahren legal möglich. Der Sterbeverein Exit verzeichnet denn auch steigende Zahlen in Sachen aktive Sterbehilfe. Neben völlig nachvollziehbaren Aspekten des geplanten Freitods dürfen allerdings auch die Schattenseiten der neuen „Todeskultur“ nicht vergessen werden.

Wenn alles zu schwer wird

Unter den jährlich etwa 64’000 Todesfällen sind die wenigsten als Freitod zu verstehen. Insgesamt über 2’000 Anfragen zur Sterbebegleitung zum selbstbestimmten Termin sind 2013 bei Exit eingegangen, davon konnte in 723 Fällen eine Abklärung zum Freitod erfolgen. In insgesamt 459 Freitoden stand Exit den Sterbewilligen zur Seite. Es sind nicht die, die sich aus Verzweiflung oder Liebeskummer vor den Zug werfen oder irgendwo im Wald aufhängen, weil sie den Anforderungen des Lebens nicht mehr gerecht werden können. Sterbewillige aus der Schweiz, die sich beim Verein Exit melden, sind oftmals Menschen, die auf ein gelebtes Leben zurückblicken können. Dieses allerdings wird angesichts schwerer, oftmals unheilbarer Krankheiten und allgemeiner Gebrechlichkeit als untragbare Belastung gesehen.

Wer mit der Diagnose einer unheilbaren Krebserkrankung, zunehmender Demenz oder Alzheimer konfrontiert wird, hat jetzt die Möglichkeit, sein Leben selbst und „professionell“ zu beenden . Auch schwierige Krankheitsverläufe nach Operationen, Herzinsuffizienz oder das Gefühl der zunehmenden Vereinsamung sind Gründe dafür, das Leben beenden zu wollen.

Besonders dann, wenn nahe Angehörige wie Lebenspartner oder Kinder vom Tod eingeholt wurden, möchte ihnen der eine oder andere Hinterbliebene bald folgen. Immerhin war das Leben darauf ausgerichtet, mit diesen Menschen gemeinsam zu leben und jetzt nicht doch ganz allein alt zu werden und verschämt auf den baldigen Tod zu warten.

Früher gab es in all den geschilderten Umständen nur zwei Alternativen: den Leidensweg bis zum Ende gehen oder Selbstmord. Die Legalisierung der Sterbehilfe eröffnete einen dritten Weg, den immer mehr Menschen als den „Königsweg“ sehen. „Selbstbestimmtes“ Sterben ohne Qualen – das ist doch DIE Lösung!?

Exits Umgang mit den Betroffenen

Das sensible Thema Freitod geht Exit mit den Betroffenen sehr gefühlvoll, individuell und mit einer hohen Achtung vor der Person an. Der Gedanke ist, Sterbewilligen eine Begleitung zum Ende des Lebens anzubieten. Diese Begleitung soll ebenso würdevoll wie einfühlsam ausfallen. Sie soll Menschen auf ihrem letzten Weg in einen selbstbestimmten Tod nicht alleine lassen.

Der Altersdurchschnitt der Menschen, die von Exit in den Tod begleitet werden, beträgt um die 77 Jahre. Es sind also keine verzweifelten pubertären Teenager und auch keine gelangweilten Manager in der Midlife-Krisis, die hier von den Vereinsmitgliedern von Exit aufgefangen und in den selbstgewählten Tod begleitet werden. Während Udo Jürgens singt „Mit 66 Jahren, da fängt das Leben an“, kann die Sache gute elf Jahre später auch schon ganz anders aussehen. Neben dem zunehmenden körperlichen und manchmal auch geistigen Verfall fürchten viele vor allem die Einsamkeit des Alters. Dieser kann man auch in der Seniorenresidenz oder in der selbst gegründeten Seniorenwohngemeinschaft nicht so leicht entgehen.[/vc_column_text][vc_separator color=“grey“][vc_column_text]

Entscheidung mit Bedacht
. (Bild: Gwoeii / Shutterstock.com)

Entscheidung mit Bedacht
. (Bild: Gwoeii / Shutterstock.com)

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Exit begleitet nicht einfach Selbstmörder in den Tod. Hier sieht sich der Verein nicht in der Pflicht und auch nicht in der Verantwortung. Was Exit möchte, ist eine würdevolle und einfühlsame Begleitung für Menschen, die ein selbstbestimmtes Leben mit einem selbstgewählten Tod nicht in der Einsamkeit der Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit abschliessen möchten. Jeder Sterbebegleitung geht eine umfassende Beratung voraus, die den Sterbewilligen weder die Entscheidung noch die Verantwortung abnimmt. Exit will nicht aktivieren, sondern begleiten. Und so ist es immer eine Entscheidung mit Bedacht, die diejenigen treffen, die ihrem Leben nichts mehr abgewinnen können.

„Kultur des Todes“ greift immer mehr um sich

So gut sich das alles anhört, so lautstark muss man doch an dieser Stelle auf die Schattenseiten des organisierten Freitods hinweisen. Denn die romantische Verklärung des selbstbestimmt Sterbenden trifft bei weitem nicht immer zu. Vielmehr muss man oft einen direkten oder indirekten Druck auf die Betroffenen vermuten, in den Tod zu gehen.  Alte Menschen, besonders Pflegefälle, werden meist als Belastung gesehen, sowohl für die Angehörigen als auch für die Krankenkassen. Nach der Legalisierung der Sterbehilfe ist der argumentative Druck in Richtung dieser scheinbar alternativlosen Lösung deutlich gestiegen.

Auch muss man fragen, ob denn die Vereinsamung alter Menschen – wie oben erwähnt der Hauptgrund für die Entscheidung zum Freitod – eine unabänderbare Realität darstellt. Kann es sein, dass hier das Dogma einer Gesellschaft, die Tod und Leid an den Rand ihres Bewusstseins drängt und das Evangelium des Hedonismus predigt, voll durchschlägt? Dass wir nicht nur leidendes Leben sehen und uns leidensfreies wünschen, sondern schon den nächsten Schritt gehen, der doch ein alter und schrecklicher ist: wertes und unwertes Leben voneinander zu scheiden?

Wenn jedes Leben, unabhängig von Geisteszustand und Gesundheit, gleich viel wert ist, dürften wir alte und gebrechliche Menschen nicht so vor sich hin vegetieren lassen. Wenn allerdings – was zweifellos längst gesellschaftliche Wirklichkeit ist – zwischen lebenswertem und weniger lebenswertem Leben unterschieden wird, sind wir in einer unguten Kultur des Todes angekommen, in der das Menschsein sich auf einen engen, sozialdarwinistisch definierten Korridor beschränkt.

Kein „Wegsperren“ nach deutschem Vorbild

In Deutschland ist die aktive Sterbehilfe (noch) verboten. Besser ist die Situation dort nicht unbedingt. Allzu viele Alte oder Gebrechliche landen nach einem missglückten Selbstmordversuch in der Psychiatrie. Dort werden ihre Depressionen mit Psychopharmaka behandelt, bis die Betroffenen nur noch ein Schatten ihrer selbst sind.

Das ist sicherlich kein Plädoyer für das Leben. Die aktive Sterbehilfe ist es auch nicht. Sie ist eine moderne und scheinbar geschmeidige Antwort auf den Tod und das Leiden. Dabei ist sie blind für all die fundamentalen Wahrheiten des menschlichen Daseins, die mit Leben und Tod noch verbunden sind: Liebe, Glaube, Hoffnung, Loyalität, Freundschaft. Wenn diese in einer Gesellschaft stark sind, reichen sie über das Leben hinaus bis zum Tod.

 

Oberstes Bild: © Kzenon – Shutterstock.com[/vc_column_text][/vc_column][/vc_row]

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