Schweizer Recht greift nicht: Ist Google der digitale Big Brother der Neuzeit?

Big Brother is watching you. Was im 1949 veröffentlichten Roman „1984“ von George Orwell noch reine Fiktion rund um einen totalitären Überwachungs- und Präventionsstaat war, ist inzwischen – zumindest in Auszügen – Realität geworden. Vor allem seit das Internet quasi flügge geworden und für viele Protagonisten ein Leben ohne Suchmaschinen kaum mehr vorstellbar ist, kann Privatsphäre zuweilen als Luxus betrachtet werden.

Diese Transparenz kann aber durchaus auch ihre guten Seiten haben. Gerade beim Versenden (E-Mail) von zum Beispiel kinderpornografischen Bildern ist die Daten-Überwachungsmaschinerie von Anbietern wie Google durchaus Gold wert. Auch rund 200 Schweizer werden pro Jahr vom amerikanischen Internetgiganten als Absender von Dateien mit kinderpornografischen Inhalten identifiziert. Das ins Bundesamt für Polizei integrierte Kommissariat für Pädokriminalität und Pornografie konnte jedes Mal dank der Informationen von Google zeitnah aktiv werden.

Technologie von Google und Co. ermöglicht das detaillierte Scannen von Daten aller Art

Wenn das automatische Prüfsystem von Google entsprechende Bilder in E-Mails entdeckt, meldet es dies prompt dem NCMEC (National Center for Missing and Exploited Children). Prinzipiell kann diese Vorgehensweise nur gelobt werden, allerdings bleibt selbst in Fällen dieser Art ein fader Beigeschmack. Denn: Während kein Polizist oder Ermittler die Informationen und Fotos sehen kann, kann Google dies zu jeder Zeit. Automatisch. Diesbezüglich setzen Google bzw. Gmail und auch andere E-Mail-Anbieter aus den Vereinigten Staaten nämlich eine eigene Technologie ein, die versendete Fotos mit bereits identifizierten Kinderpornografie-Bildern detailliert abgleicht. Mithilfe so bezeichneter Hashwerte, die mathematische Abstraktionen ermöglichen, lassen sich dann entsprechende Bilder eindeutig identifizieren.

Googles Tipps konnten auch die Strafbehörden in der Schweiz schon des Öfteren auf die richtige Spur bringen. Das ist auch gut so. Allerdings muss die Frage gestattet sein, ob Google und Co. die explizite Technologie wirklich nur zur Identifikation von Bildern mit kinderpornografischen Inhalten einsetzt. Die Kriterien, nach denen Google bzw. viele Provider diesbezüglich vorgehen, sind nicht genau bekannt. Werden die E-Mails von Google zum Beispiel auch auf Beschimpfungen, Einbruchsvorbereitungen oder Piraterie gescannt? Google versichert zwar, dass die besagte Technologie lediglich zur Identifikation kinderpornografischer Fotos in E-Mails verwendet werde. Fakt ist aber, dass mittels der Möglichkeiten, die diese Technologie offenbart, auch Hinweise beispielsweise auf andere Verbrechen gefunden werden können.


Google überprüft die E-Mails zudem selbstverständlich auch auf Viren- und Spam-Inhalte. (Bild: Alexander Supertramp / Shutterstock.com)
Google überprüft die E-Mails zudem selbstverständlich auch auf Viren- und Spam-Inhalte. (Bild: Alexander Supertramp / Shutterstock.com)


Mögliches Szenario: Kinderporno-Konsumenten wechseln zu E-Mail-Anbietern aus der Schweiz

Google überprüft die E-Mails zudem selbstverständlich auch auf Viren- und Spam-Inhalte. Des Weiteren werden bestimmte Schlüsselwörter in den E-Mails gesucht, um gezielt Werbung platzieren zu können. Andere Anbieter wie zum Beispiel die Microsoft-Dienste Outlook.com und Hotmail gehen diesbezüglich nicht so weit; sie verzichten auf das Schalten derartiger Werbung. Sie beschränken sich auf die Suche nach kinderpornografischen Bildern. Die entsprechende Microsoft-Technologie PhotoDNA wird inzwischen auch von Twitter und Facebook verwendet. Während diese Vorgehensweise in den USA durchaus legal ist und die Provider sogar gesetzlich verpflichtet sind, einen Verdacht auf pädophile Pornografie zu melden, unterliegen Daten dieser Art in der Schweiz dem Fernmeldegeheimnis.

So dürfen hiesige Anbieter wie Cablecom, Sunrise oder Swisscom E-Mails nicht auf kinderpornografische Inhalte bzw. Bilder scannen. Die technologischen Voraussetzungen haben allerdings auch diese Unternehmen zur Verfügung. Sie beteuern aber, dass sie nur bei entsprechender Aufforderung seitens der eidgenössischen Behörden aktiv werden. Das wissen inzwischen auch User in anderen Ländern. Daher ist es durchaus denkbar, dass zukünftig Kinderporno-Konsumenten von US-amerikanischen Providern zum Beispiel zu Sunrise, Hispeed oder Bluewin wechseln. In der Schweiz ist die Gefahr aufzufliegen schliesslich weitaus geringer. Übrigens: Auch der deutsche E-Mail-Dienst GMX scannt die entsprechenden Inhalte nicht.

Rechtliche Grundlagen für das Melden von Kunden sind nicht hinreichend definiert

Eine Frage bleibt aber noch unbeantwortet. Darf Google überhaupt als ein in der Schweiz agierendes Unternehmen auch Schweizer Kunden melden? Gilt nicht auch für Google dann das Schweizer Recht? Die Experten sind sich diesbezüglich uneins. Viele bezeichnen das Vorgehen von Google aus Schweizer Sicht jedenfalls als kritisch. Google verweist diesbezüglich zwar auf seine Nutzungsbedingungen, aber es muss in der Zukunft rechtlich erst noch geklärt werden, ob dies tatsächlich als Legitimationsgrundlage genügt. Denn es hat schon etwas Befremdliches, dass sich der Internetriese aus den USA quasi nach „Gutsherrenart“ in seinen Nutzungsbedingungen selbst das Recht gibt, Inhalte jederzeit auf ihre Rechtswidrigkeit zu kontrollieren und im Hinblick auf etwaige Verstösse die entsprechenden Daten quasi an Dritte weiterzugeben.

 

Oberstes Bild: © Brian A Jackson – Shutterstock.com

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